Ein Blick zu den größten Think Tanks und Hightech-Unternehmen im Silicon Valley zeigt deutlich: Um innovationsfähig zu bleiben und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, muss sich das heutige Verständnis von Führung sowie die Art zu arbeiten und zu führen radikal verändern. Das Stichwort dabei ist ganz klar „Digital Leadership“. Doch was bedeutet dieser Begriff und wie digital sollte Führung sein? Was sollten Führungskräfte lernen, um zu „Digital Leadern“ zu werden? Wir haben eine Studie zu diesem Thema durchgeführt, die Antworten auf diese Fragen liefert und geben Tipps für die Praxis.

Studie von Tivian zu Digital Leadership: Was lernen Führungskräfte von morgen daraus?

“Digital Leadership – eine theoretische und empirische Analyse des Führungsverhaltens in Zeiten der Digitalisierung und dessen Effekt auf die Arbeitszufriedenheit” ist der Titel der Studie, die im Jahr 2018 an der Universität Köln im Rahmen einer Masterarbeit gemeinsam mit Tivian durchgeführt wurde.

Im Rahmen der Arbeit wurde ein theoretisch fundiertes Konzept zum Thema „Digital Leadership“ ausgearbeitet. Um dessen Wirkung auf die Arbeitszufriedenheit in Zeiten der Digitalisierung messbar zu machen, wurde, basierend auf Fachliteratur, ein umfangreicher Fragebogen entwickelt. Dieser umfasste neben Fragen, die Einblicke in das Führungsverhalten in Unternehmen geben sollten, Fragen zur Belastung durch die Digitalisierung, Nutzung von Technologie sowie zum Arbeitsumfeld und der Arbeitszufriedenheit. Grundlage für die Fragen zum Führungsverhalten war einschlägige Fachliteratur sowie das Online-Self-Assessment-Tool der LeadershipGarage vom Institut für Performance Management der Leuphana Universität Lüneburg.

Für die Studie wurden Mitarbeitende in Unternehmen aus Deutschland, USA, UK, Finnland, Dänemark, Schweden und Norwegen befragt. Etwa 2.000 Personen erhielten den Fragebogen. 152 Personen, die einer direkten Führungskraft unterstellt sind, haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt zurückgesendet. Basierend auf den Umfrageergebnissen dieser Stichprobe wurde eine empirische Analyse durchgeführt.

Das Konzept Digital Leadership – vier Verhaltensdimensionen von Führungskräften

Um Digital Leadership zu beschreiben, wurden im Rahmen der Studie vier Verhaltensdimensionen festgelegt und anhand des Fragebogens messbar gemacht:

Verhaltensdimension 1: Öffnendes Führungsverhalten oder transformationale Führung

Folgende Aspekte charakterisieren das öffnende Führungsverhalten, auch transformationale Führung genannt:

  • Partizipation: Die Führungskraft lässt Mitarbeitende an Entscheidungen teilhaben.
  • Positive Fehlerkultur: Mitarbeitende haben die Möglichkeit, aus ihren Fehlern zu lernen und müssen keine Sanktionen fürchten.
  • Vertrauen und Respekt: Mitarbeitende werden nicht kontrolliert, ihnen werden verantwortungsvolle Aufgaben übertragen, es herrscht ein Umgang auf Augenhöhe.
  • Individuelle Weiterentwicklung: Die Führungskraft berücksichtigt den spezifischen Weiterbildungsbedarf eines jeden Mitarbeitendens* und bindet ihn in die Auswahl der Weiterbildungsmaßnahmen ein.
  • Autonomie: Die Führungskraft ermutigt die Mitarbeitenden dazu, eigenständig und eigenverantwortlich zu handeln.
  • Gemeinsame Vision: Die Führungskraft und ihr Team teilen gemeinsame Ziele und handeln stets im Sinne dieser.
  • Empathie: Die Führungskraft geht verständnisvoll und empathisch auf Mitarbeitende ein.

Verhaltensdimension 2: Schließendes Führungsverhalten oder transaktionale Führung

Folgende Aspekte charakterisieren das schließende Führungsverhalten, auch transaktionale Führung genannt:

  • Kontrolle der Einhaltung von Zielen: Führungskraft und Mitarbeitende vereinbaren Ziele und der Fortschritt wird konsequent überprüft.
  • Korrigierendes Eingreifen: Die Führungskraft schreitet korrigierend ein, sobald etwas in die vermeintlich falsche Richtung läuft.
  • Schaffen von festen Arbeitsabläufen: Es gibt feste Prozesse, die für alle Mitarbeitenden verbindlich sind.
  • Durchsetzen von Regeln: Es gibt klare Regeln, an die sich alle zu halten haben.
  • Positives Feedback für erbrachte Leistung: Lob und Anerkennung gibt es vor allem für erfüllte Ziele und gute Arbeitsergebnisse.

Das öffnende Führungsverhalten gilt als moderner Führungsstil, das schließende Führungsverhalten hingegen eher als konservativ. Transaktionale Führung bietet Sicherheit und Halt in unsicheren Zeiten. Eine Führungskraft sollte situationsbedingt zwischen den beiden Führungsstilen wechseln können – das sogenannte “Ambidextrous Leadership”, also die “beidhändige Führung”, ist eine Charakteristik des Digital Leadership.

Verhaltensdimension 3: Führen auf Distanz mithilfe von Technologie

Digitale Teams von heute arbeiten immer häufiger nicht zusammen in einem Gebäude oder gar Raum. Sie sind verstreut, manchmal auf der ganzen Welt. In unserer Studie gaben mehr als 50 Prozent der Befragten an, in Teams zu arbeiten, deren Mitglieder räumlich voneinander getrennt sind und hauptsächlich über digitale Kanäle miteinander kommunizieren. In Zukunft wird sich dieser Trend sicherlich fortführen.

Die Aufgabe der Führungskräfte von morgen ist es, mithilfe von neuen Technologien die Kommunikation aufrecht zu erhalten und zu fördern, das Team zu vernetzen. Wenn Mitarbeitende nicht persönlich anwesend sind, ist Vertrauen ein besonders wichtiger Faktor. Diese fünf Aspekte sind demnach zentral für das Digital Leadership:

  • Positive Haltung zu neuen Technologien
  • Verwendung von Technologie
  • Kommunikation
  • Vernetzen
  • Vertrauen

Verhaltensdimension 4: Gesundheitsspezifisches Führen

Unternehmen und somit Führungskräfte haben eine gesundheitliche Verantwortung ihren Mitarbeitenden gegenüber. Zum gesunden Führungsverhalten gehören folgende Punkte:

  • Work-Life-Balance und ein gesundes Arbeitsverhalten: Das Privat- und Arbeitsleben sind im Einklang, Überstunden sind die Ausnahme, nach Feierabend und am Wochenende ist das Telefon ausgeschaltet.
  • Vorbildfunktion: Die Führungskraft lebt dem Team ein gesundes Arbeitsverhalten vor.

Die Ergebnisse der Digital-Leadership-Studie

Wir haben in der Studie einen besonderen Fokus auf die Arbeitszufriedenheit gelegt, weil sie die Basis für Mitarbeiterbindung und Leistung ist.

Eine hohe Arbeitszufriedenheit ergibt sich in der Regel, wenn

  • der Mitarbeitende gute Entwicklungschancen hat.
  • ein gutes Arbeitsklima mit den Kollegen herrscht.
  • Aufstiegsmöglichkeiten bestehen.
  • der Mitarbeitende das Gehalt als angemessen empfindet.
  • der Mitarbeitende insgesamt mit dem Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld zufrieden ist.

Öffnendes Führungsverhalten stärkt die Arbeitszufriedenheit

Die Ergebnisse unserer Digital-Leadership-Studie zeigen, dass das öffnende Führungsverhalten einen besonders großen positiven Effekt auf die Arbeitszufriedenheit hat – hier besteht eine hohe Korrelation (r = 0,58).

Das gesunde Führungsverhalten und das Führen auf Distanz mithilfe von Technologien haben ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit. Hier besteht eine mittlere Korrelation (r = 0,31 und r = 0,47).

Das schließende Führungsverhalten wirkt sich laut unserer Studie weniger auf die Arbeitszufriedenheit aus. Hier besteht eine geringe Korrelation (r = 0,14). Zudem zeigen die Ergebnisse, dass die Belastung als geringer empfunden wird, je höher die Arbeitszufriedenheit ist – zufriedene Mitarbeitende sind demnach belastbarer. Insbesondere ein gesundes Führungsverhalten verringert das Belastungsempfinden der Mitarbeitenden.

Das Arbeitsumfeld hat einen Mediatoreffekt

In unserer Studie spielt das Arbeitsumfeld ebenfalls eine entscheidende Rolle. Ein positives Arbeitsumfeld im Bereich der Digitalisierung ist gegeben, wenn

  • Innovation
  • Digitalisierung
  • Kooperation
  • eine positive Arbeitskultur

zum Arbeitsalltag gehören.

Das Arbeitsumfeld hat einen Mediatoreffekt auf den Zusammenhang zwischen den Verhaltensdimensionen und der Arbeitszufriedenheit. Das bedeutet, dass beispielsweise der Einfluss des öffnenden Führungsverhaltens auf die Arbeitszufriedenheit deshalb besteht, weil eine solche Führung das Arbeitsumfeld verbessert und als Folge die Zufriedenheit steigt. Unsere Studie zeigt, dass sich die vier Verhaltensdimensionen positiv auf das Arbeitsumfeld auswirken.

 

Das Fazit unserer Studie: Digital Leader haben zufriedenere Mitarbeitende

Die Digital-Leadership-Studie beweist, was wir bereits vermutet haben: Digitale Führung hat einen positiven Effekt auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden. Das öffnende Führungsverhalten und das Führen auf Distanz mithilfe von Technologien sind die Verhaltensdimensionen, auf die Führungskräfte von morgen besonderen Wert legen sollten.

So gelingt Digital Leadership: Unsere Praxistipps

Wir sehen vier zentrale Themen in puncto Führungskompetenz, Digital Leadership und Führungskräfteentwicklung, mit denen sich die führenden Hightech-Unternehmen bereits heute beschäftigen, zu denen wir in Deutschland aber noch etwas lernen können.

Nutzen Sie die Möglichkeiten der Digitalisierung

Mit rasender Geschwindigkeit schreitet die digitale Transformation voran: Neue Technologien kommen auf den Markt und wir integrieren täglich neue Dienste wie Slack und Beam in unser Leben. Hier mitzuhalten und am Puls der Zeit zu bleiben, bedeutet für manche Freizeitspaß, für Führungskräfte steckt jedoch eine neue Herausforderung dahinter. Gerade durch die „Always on“-Mentalität oder das Motto „Go digital or die“ verändert sich unser Arbeitsleben enorm. Die Digitalisierung ist kein Trend, der morgen vorbei ist.

Es gilt für Führungskräfte von morgen, einerseits selbst einen Weg zu finden, Collaboration-Technologien in den eigenen Arbeitsalltag zu integrieren, entsprechende Kompetenzen zu entwickeln und ihre Chancen zu nutzen. Andererseits müssen die Teammitglieder auf diesem Weg abgeholt und begleitet werden. Denn nicht jeder Mitarbeitende kann mit dem Tempo der Digitalisierung umgehen, vielmehr fühlen sich einige damit überfordert. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben in unserer Studie an, das Gefühl zu haben, dass die Zahl der gleichzeitig zu bewältigenden Vorgänge größer geworden ist.

Führungskräfte müssen also nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mitarbeitenden dazu befähigen, eine gesunde Balance zwischen neuen und bewährten Technologien im Arbeitsleben zu finden. Wo sinnvoll, sollten die digitalen Technologien integriert werden – zum Beispiel für virtuelle Meetings in internationalen Teams. Wo noch Bedenken herrschen, sollten diese zerstreut oder klare Regeln aufgestellt werden, zum Beispiel bei der ständigen Erreichbarkeit über Messenger-Dienste.

Fazit für Führungskräfte von morgen: Go digital – und befähigen Sie Ihre Mitarbeitenden zum richtigen Umgang mit Chancen und Risiken.

Seien Sie offen für Innovation und Veränderung

Menschen sind Gewohnheitstiere – oft sind wir in unseren Denkmustern und Gewohnheiten gefangen. Gerade für Führungskräfte ist es wichtig, diese Barrieren zu durchbrechen und Innovationsmethoden im Team anzuwenden. Starr vorgegebene Aufgaben bremsen die Kreativität der Mitarbeitenden – Freiräume hingegen bereiten den Weg für Innovation.

Innovation heißt auch Transformation. „Be ready for the unexpected things” – dieser Leitsatz ist der Herzschlag der Hightech-Unternehmen im Silicon Valley. Und auch wir in Deutschland sollten lernen, offener zu sein für Dinge, die kommen werden und die wir nicht ändern können. Unternehmen und die künftigen Digital Leader müssen lernen, neue Herausforderungen, wie sie uns in den nächsten Jahren durch Innovationen immer öfter begegnen werden, als Chancen zu sehen. Das kann vom papierlosen Büro, über Homeoffice bis hin zu automatisierten Produktionsprozessen, jeden Bereich einer Organisation oder eines Geschäftsmodells betreffen. Dabei geht es nicht darum, dass jedes deutsche Traditionsunternehmen die Denkweise eines agilen Start-ups übernimmt. Denn bewährte Strukturen haben durchaus ihren Sinn – auch im Digital Leadership ist punktuell transaktionale Führung gefragt. Fakt ist jedoch, dass eine Generation von jungen Mitarbeitenden nachkommt, die Veränderungen im Unternehmen anstoßen möchten – und sollten. Diese gilt es anzunehmen und als Chance zu begreifen.

Fazit für Führungskräfte von morgen: Lassen Sie zu, dass das einzig Stete der Wandel ist.

Fördern Sie den Mut zum Scheitern und haben Sie Vertrauen

In der kalifornischen Hightech-Branche ist Scheitern kein Drama, sondern wird als Chance begriffen, aus Fehlern zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen. Funktionieren kann das nur, wenn diese Kultur bis an die Unternehmensspitze gelebt wird. Lassen Sie Ihren Mitarbeitenden die Freiheit, Fehler zu machen und Verantwortung für diese zu übernehmen. Dazu notwendig ist ein Wandel weg von Hierarchien hin zu netzwerkbasiertem Arbeiten mit organischen Strukturen und mehr Flexibilität.

Das funktioniert jedoch nur, wenn Sie als Führungskraft Verantwortung abgeben und die einzelnen Teammitglieder dazu befähigen, selbst zu Experten zu werden. Jeder Digital Leader kann sich hier vom oben bereits erwähnten Konzept der beidhändigen Führung inspirieren lassen: Im Sinne der Produktivität gelten feste Strukturen und Prozesse – gleichzeitig bleibt das Team innovativ und offen für neue Wege und Lösungen, um wettbewerbsfähig zu sein.

Darüber hinaus ist Vertrauen ein wichtiger Faktor für erfolgreiche digitale Führung und zufriedene Mitarbeiter. Geben Sie Ihren Mitarbeitenden Spielraum und Autonomie und ermöglichen Sie flexible Regelungen, beispielsweise bei den Arbeitszeiten. Vertrauen bedeutet auch, dass die Führungskraft weiß, dass ihrem Team zwar Fehler passieren, es aber daraus lernt, daran wächst und neue Fähigkeiten entwickelt.

Fazit für Führungskräfte von morgen: Verantwortung abgeben, Fehler zulassen, ein vertrauensvolles Arbeitsklima schaffen und Hierarchien abbauen – das ist der Führungsstil, der dem Digital Leadership gerecht wird.

Seien Sie Motivator und Coach für Ihr Team

Mehr Verantwortung abzugeben bedeutet nicht, Mitarbeitende bei allem allein zu lassen. Vielmehr gewinnt dadurch, neben klassischem Management und visionärer Führung, das Thema Coaching mehr an Bedeutung. Führungskräfte müssen lernen, ihren Mitarbeitenden die richtigen Fragen zu stellen, damit diese selbst die Problemlösung finden.
Auch wird das Thema Teamführung wichtiger. Gerade mit geographisch verteilten Teams und agilen Arbeitsweisen, wird Führungskräften vermehrt die Aufgabe zukommen, die verschiedenen Experten je nach Aufgabenstellung zusammenzubringen, sie zu befähigen und zu motivieren, um das Beste aus dem jeweiligen Projekt herauszuholen. Wir haben eine Checkliste mit 16 Tipps zur Mitarbeitermotivation zum Download für Sie zusammengestellt.

Es ist zukünftig weniger bedeutend, ein absoluter Experte auf einem Gebiet zu sein – vielmehr werden Empathie und Kommunikationsfähigkeit die reine Fachkenntnis ablösen: Leadership heißt, Menschen faszinieren und zusammenbringen zu können. Ganz zentral ist dabei für Führungskräfte: Feedback der Mitarbeitenden einholen! Nur wer weiß, was seine Mitarbeitenden antreibt, welche Themen sie beschäftigen und wo sie Verbesserungspotenzial sehen, kann entsprechend reagieren. Ein moderner, integrierter Prozess für Mitarbeiterbefragungen und Führungskräfte-Feedback sind der Schlüssel zur besseren Führung.

Fazit für Führungskräfte von morgen: Künftig zählt die emotionale Intelligenz mehr als die fachliche.

Setzen Sie die Erkenntnisse für Digital Leadership individuell um

Es gibt kein Rezept für Digital Leadership. Nutzen Sie die Erkenntnisse aus der Digital-Leadership-Studie, angepasst an die individuellen Gegebenheiten in Ihrem Unternehmen und die Bedürfnisse Ihres Teams. Bleiben Sie dabei stets im Dialog mit Ihren Mitarbeitenden und überprüfen Sie die Effektivität Ihrer Maßnahmen. Auch Sie dürfen aus Fehlern lernen. Die digitale Transformation braucht Zeit – aber es führt kein Weg daran vorbei.